Helmut Schmidt im Gespräch

Auszüge aus einem Interview, das die ING mit Helmut Schmidt, dem früheren Bundeskanzler und Herausgeber der Zeit, führte:

ING: Verehrter Herr Schmidt. Wer Ihren Namen hört, der denkt an die kritischen Beiträge zu Grundfragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Der Helmut Schmidt Journalistenpreis, der Ihren Namen trägt, zielt jedoch in eine andere Richtung. Mit ihm werden Journalisten ausgezeichnet, die Hervorragendes auf dem Gebiet der verbrauchernahen Berichterstattung geleistet haben.  

Helmut Schmidt: Wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen auf allen Ebenen staatlichen Handelns, Kapitalmarktentwicklungen und internationaler Handel haben stets auch konkrete Folgen für die Bürger, für ihre Arbeitsbedingungen, und Auswirkungen auf ihr alltägliches Leben. Die Aufgabe von Wirtschaftsjournalisten ist es unter anderem, ihren Lesern dies deutlich zu machen. Wir brauchen Journalisten, welche die Hintergründe transparent machen und zugleich für jeden verständlich formulieren können. Die Zielsetzung des Journalistenpreises, den die ING-DiBa einmal im Jahr vergibt, entspricht meiner Vorstellung von einem Wirtschaftsjournalismus, der dem Bürger Urteilskraft über ökonomische Themen verschafft.

ING: Journalismus für die Verbraucher ist demnach mehr als nur der Vergleich von Konditionen und Kosten?

Helmut Schmidt: Informationen sind eine elementare und deshalb notwendige Voraussetzung für das Funktionieren jeder Marktwirtschaft. Kein Verbraucher ist aber heute in der Lage, durch eigene Aktivitäten die Preise und die Qualität von Waren zu vergleichen. Das müssen andere ihm abnehmen und ihm als Dienstleistung anbieten. Wirtschaftsjournalismus, so wie ich ihn mir wünsche, begleitet den Menschen im Alltag. Die Journalisten werden zu sachkundigen Beratern ihrer Leser, Zuschauer und Zuhörer.

ING: Woran liegt es, dass viele Leser den Wirtschaftsteil ihrer Zeitung dennoch überblättern?  

Helmut Schmidt: Eine wichtige Rolle spielt sicher die Themenauswahl. Ebenso die Bewertungen, die in den einzelnen Beiträgen vorgenommen werden. Die sind aus meiner Sicht häufig zu unkritisch und zu angepasst. Die Aufgabe eines Wirtschaftsjournalisten ist hauptsächlich die Berichterstattung. Aber natürlich gehören dazu auch Kommentare und Kritik. Was ich erwarte, ist ein Wirtschaftsjournalismus, der es als sein Ziel ansieht, Zusammenhänge durchsichtig zu machen und zum kritischen Nachdenken anzuregen. Zum Wirtschaftsjournalismus gehört aber auch, das Publikum darüber zu informieren, was in der Wirtschaft los ist. Dazu zählen Fragen wie zum Beispiel: Wie steht es um die Finanzen und Leistungen der Sozialversicherungsträger auf kurz-, mittel-, langfristige Sicht wirklich? Warum muss der Staat sparen? Wie verantwortlich handeln die Manager? Wie wirkt die Geldpolitik auf Konjunktur und Wirtschaftswachstum?

ING: Hört sich das nicht nach komplizierten Analysen und schwierigen Texten an?  

Helmut Schmidt: Journalisten, die ihr Handwerk beherrschen und verstehen, worüber sie schreiben, sollten auch komplizierte Dinge für alle verständlich ausdrücken können. Die Wirtschaftsteile der Zeitungen sind heute aber leider für Menschen, die nicht selber als Steuerberater, Banker oder Unternehmer tätig sind, nur noch teilweise zu verstehen. Weil aber Wirtschaft jeden angeht, sollten Wirtschaftsjournalisten sich deshalb darum bemühen, auch für den ganz normalen Zeitungsleser zu schreiben.